Begeisterung

 

Eine worthistorische Überlegung von Ulrich Knoop

 

(Oktober 2019)

 

Dieser Text wurde auf dem Impuls-Seminar in München vorgetragen, Dezember 2019.

 

 

 

Wenn wir solch ein zentrales Wort unseres intellektuellen Haushalts besprechen wollen, dann überfällt uns erst mal eine Fülle von Eindrücken, von denen wir aber nicht wissen, ob sie alle stichhaltig sind. Vor allem wissen wir nicht, vor lauter Wortkaskaden, ob wir den Ausgangspunkt bzw. das Fundament dieses Wortes treffen, von dem wir gleichwohl überzeugt sind, dass es Einiges über unseren geistigen – ja, da ist es, der Geist!! - Haushalt sagen kann, wenn wir uns nur recht überlegen, von wo aus es etwas sagt, wenn wir es sagen. Damit ist zugleich auch die Brisanz angerissen, die dieses Wort und sein angesprochener Bereich mit sich bringen.

 

 

 

Zunächst fällt auf, dass mit „Begeisterung“ immer etwas davon ausgesagt wird, dass wir nicht ganz bei uns sind, dass wir über unsere (normalen) Möglichkeiten hinausgehen. Und damit stellt sich, wenn wir es recht bedenken, mit dem Aussprechen von „Begeisterung“ gleich auch die Frage an uns, wo stehen wir bzw. wo wollen wir hin. „Begeisterung“ hebt in einem gewissen Sinn die Bedingungen auf, die uns gewöhnlich binden.

 

 

 

Damit das gleich ganz konkret wird, erinnere ich daran, dass die gesamte Verbesserungskraft der Arbeitsbedingungen und den Arbeitsleistungen, das also, was man Marketing nennt, darauf ausgeht, bei den Menschen die Begeisterung zu wecken, die sie zu Höchstleistungen bringen soll, in dem sie aus sich herausgehen und das dann erreichte Außergewöhnliche als Arbeitsprodukt abliefern. Das gefällt dann anderen Menschen, also Käufern und Kunden, gut. Begeisterung meint in diesem Falle ganz selbstverständlich Produkt (also auf Seiten der Arbeitsleistung)- und Kundenbegeisterung, also außer-sich-sein des Herstellers und auch des Käufers. Beide sagen von sich, dieses Produkt habe ihre Begeisterung gefunden.

 

 

 

Das kommt nicht von ungefähr. Zum einen der Zustand und dann das Wort dazu. Das Wort selbst ist uns so selbstverständlich, dass es so aussieht, als gehöre es zu unserem Grundwortschatz, wie Baum, Kraft, Brot, Fuß oder Glück. Aber genauer betrachtet, ist es ein zusammengesetztes, also in gewissen Sinn abgegrenztes Wort: Be-geist-er-ung, also aus vier Bestandteilen, und so ganz anders als 'Baum', 'Kraft' oder 'Glück'. Und deshalb: es kann nicht alt sein. Es gehört nicht zu unserem Grundwortschatz bzw. ist das erst neuerdings der Fall. Das wirft Fragen auf, die bei den alten Grundwörtern nicht so aufkommen.

 

Denn nun ist klar, dass irgendwann diese Zusammensetzung gebildet wurde, um einem Zustand Ausdruck zu verschaffen, den es bis dahin so nicht gegeben hat. Und wenn wir schauen, ab wann es aufkommt, nämlich ab der Mitte des 18.Jahrhunderts, dann sind auch diejenigen greifbar, die diese Zusammensetzung ergriffen haben und zu einem Fahnenwort ihrer Auseinandersetzungen gemacht haben. Die Sprachgeschichte kann zeigen, dass dieses Wort „Begeisterung“ im 17. Jahrhundert erste Buchungen (=Verwendungen) verzeichnet, aber nicht häufig in Erscheinung tritt. Später wird die Häufigkeit seiner Verwendung auffällig. Diese Frequenz nimmt bis ins 21. Jahrhundert kaum ab (also bis zur Marketing-Sprache).

 

 

 

Die Bedeutung allerdings ist und bleibt prekär, das ist schon an der Marketing- verwendung zu sehen, die uns anstößig erscheint. Irgendwie klingt das nach Ausbeutung von Steigerungszuständen, die nicht zur normalen Arbeitsleistung gehören. „Begeisterung“ scheint auch in Richtung von Übersteigerung zu gehen, also etwas zu bezeichnen, das normalerweise nicht gegeben ist (wofür sich aber gerade die Marketing-Verwendung interessiert), nämlich eine „freudige Erregung, eine Leidenschaft“, die vor allem in so hypertrophen (übertriebenen) Wendungen wie „Sturm der Begeisterung“, „die Wogen der Begeisterung gingen hoch, kannten keine Grenzen...“ (Brockhaus/Wahrig, Deutsche Wörterbuch, 2011, S.240). Es ist ganz klar, die Marketing-Welt hat etwas am Menschen entdeckt, das sie nun haben will, sie will das haben, was über die normale Leistungsfähigkeit hinausgeht.

 

 

 

Und das, was da (im 21.Jahrhundert) entdeckt wurde, das beschäftigt die Menschheit seit dem 18.Jahrhundert.Das Wort „Begeisterung“ ist da mittendrin in dieser Entdeckung, nämlich der Fähigkeiten und Möglichkeiten des Menschen. Da ist dann von der „Hitze der Begeisterung“ die Rede, die allerdings durch „Regeln beurtheilt und verbessert werden soll“ - so sieht es die damals maßgebliche Ästhetik, die „Allgemeine Theorie der schönen Künste“ von Johann George Sulzer aus dem Jahr 1787. „Begeisterung“ bleibt aber immer verdächtig, obwohl dieses Wort sich mit dem herrschenden Verdeutschungstrend gegenüber 'Enthusiasmus' (im Gegensatz zu zum Französischen und Englischen) durchsetzt. Goethes Verhältnis zu diesem Wort ist durchaus seismographisch erkennend für die Tendenz dieses Zustands und seines Wortes: zwar wendet sich Goethe in seiner Sturm- und Drang-Phase gegen die rationalen Kunstregeln (der Aufklärung), wendet sich dann aber mit seiner Kritik an der romantischen Kunsttheorie heftig gegen den Zustand dieser unkontrollierten Begeisterung, also dem Zustand, den Hegel „in der bacchische Begeisterung“ sieht, wo das Selbst außer sich ist (PhdG Abschn. VII Bb „das lebendige Kunstwerk“ = Theorie-Werkausgabe Bd. 3, S.528), ein Zustand also, der mit Rauschmitteln und Regelverletzungen herbeigeführt werden kann. Es bleibt im 19. und 20.Jahrhundert, etwas gemäßigt, bei der Bedeutung 'leidenschaftliche Zustimmung'.

 

 

 

Daraus wird dann auch erkennbar, dass „Begeisterung“, anders als viele sonstigen Zusammensetzungen, immer weiter mit seinem Grundwort „Geist“ verbunden bleibt, wie ja auch eigentlich „begeisten“ der Wort-Ausgangspunkt im 17.Jahrhundert war. Die Iterativ (=immer wieder)-Bildung „begeistern“ kam im 17.Jahrhundert auf und dann das erst daraus gebildete Substantiv „Begeisterung“. Und „Geist“ wird im 18.Jahrhundert zu einem Fahnenwort der Intellektualität, das vor allem durch Hegels „Geist-Philosophie“. Hegel bindet das Wort „Geist“ sehr erfolgreich an eine Tradition „spiritus“ und hält damit eine Verbindung zur christlichen Religion aufrecht („Heiliger Geist“). Von hier aus bekommt „Begeisterung“ seine Bedeutungsimpulse, nämlich aus dem Wechselverhältnis von „Rausch“ (Weingeist, geistiges Getränk), „Ungewöhnliches“ und „Geistlichkeit“.

 

Das führt dann dazu, dass gegenüber der nüchternen (Natur-) Wissenschaft eine Wissenschaft zu benennen ist, die sich als Geisteswissenschaft immer wieder bemühen muss, den Überschwang, den sie aus der Begeisterung für ihre Entdeckungen und Thematiken immer wieder hervorruft, zu mäßigen.

 

Wie sehr „Geist“ sprachlich und ideenmäßig befruchtend ist, wird aus den unzähligen Wortbildungen mit „Geist“ deutlich: von „geistig“ über „vergeistigen“, „durchgeistigt“ zu „geistesabwesend“ „geistreich“ oder „Geistesgegenwart“. Daneben wird die Bedeutungskomponente, die auch bei „Begeisterung“ zu spüren ist, beibehalten: „geistige Getränke“, also Geist=Alkohol.

 

 

 

 

 

Man kann sagen, dass das Wort „Begeisterung“ und der dazu gehörige Objektbereich 'Leidenschaft' bis 'Verzückung' eine Neuorientierung der gesamten Geistesverfassung anzeigt, die im 18.Jahrhundert Fuß fasst und dann zum 21. Jahrhundert zwar konkreter wird („Kundenbegeisterung“). „Begeisterung“ zeigt die Verbindung zur gesamten „Geistes“-Verfassung an, ebenso wie deren Gefährdung ('Verzückung' ). Es ist dies also ein Wort, das wohlüberlegt angewendet sein will.

 

 

 

Für den Einzelnen bedeutet dies, dass er sehr wohl aus seiner „Normalität“ hervorgehen kann und soll und „überschwänglich“ einer Sache anhängen kann, er sollte aber darauf achten, dass das seine Gefühle bleiben und sie nicht einer Ausbeutung anheimfallen. Wir sollten nicht vergessen, dass „Begeisterung“ entfacht, geweckt werden kann, wie eine Welle hochkommt, um schließlich schnell zu verrinnen. Begeisterung ist ein kurzer Gefühlsaufschwung.

 

 

 

 

 

Begeisterung ist ein Fahnenwort der Moderne, denn es benennt die Schwierigkeit, einerseits den für die Kreativität nötigen Überschwang zu kontrollieren und benennt andererseits die Ausbeutungsmöglichkeit dieser Kreativität.